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Franz
Niegelhell
Schneestöcke
in der Stadt und noch dazu Anfang Sommer muten auf den ersten Blick seltsam
an. Andreas Lehner hat in Oberwart ein System von hängenden und steckenden
Schneestöcken, die im Winter als optisches Leitsystem für schneeverwehte
Überlandstraßen dienen, angebracht. Es sperrt damit den Platz
sowohl für Busse als auch für den Individualverkehr und markiert
ihn in seiner Ausdehnung. Die Schneestöcke werden auch hier als Orientierungssytem
verwendet. Aber anders als in Schneegebieten zeigen sie hier nicht den
"Hauptverkehrsweg" in einer Landschaft, sondern machen auf seine
Bedeutung im sozialen System einer Stadt aufmerksam und ändern diese
auch. Die Installation umfaßt den Hauptplatz des Ortes, der im Alltag
primär als Busbahnhof genutzt wird. Für die Dauer von 16 Tagen
wird die Bushaltestelle verlegt. Der Hauptplatz ist offen für neue
Nutzungen. Einen Teil des Hauptplatzes etwa nimmt nun ein Straßencafe
in Beschlag, das von Oberwarter Gastronomen geführt wird. Im Bereich
des Stadtzentrums gab es bisher keine Straßencafes. Entsprechende
Ansuchen wurden von den Behörden immer wieder abgewiesen.
Vom Hauptplatz aus beschreibt die Installation aus 3500 Stöcken einen
rund ein Kilometer langen Weg durch Oberwart, der von Einheimischen kaum
jemals begangen wird. Er führt über das Gelände der sogenannten
Rotunde, wo Viehversteigerungen stattfinden, und den Badplatz wieder zurück
zum Hauptplatz. "Dieses Gelände und die darauf befindlichen
Bauten hatten bis vor einiger Zeit eine wesentliche wirtschaftliche Bedeutung
für Oberwart, sie stellen aber heute, gerade wenn man ihre prominente
Lage in Betracht zieht, so etwas wie einen blinden Fleck dar. Architektonisch
interessant und als Gelände durchaus attraktiv, stellt die Rotunde
ein weiteres Zentrum der Stadt dar" (Andreas Lehner).
Wenn man diese Hintergründe kennt, dann erscheint die Installation
keineswegs mehr seltsam, sondern sie weist vielmehr in aufschlußreicher
Weise auf soziale und historische Zusammenhänge hin. Sie ist sozusagen
ein optisches Leitsystem für das Eingebundensein dieser Zusammenhänge
und ihrer gesellschaftlichen Ausformungen (im Sinne von "täglichem
Leben") in das Kontinuum von Raum und Zeit und seines Zuschnitts
im Hinblick auf die spezifische Lebenswirklichkeit einer Gemeinschaft.
Deren öffentlicher Raum wird, indem in ihn eingebrochen wird, als
soziales Konstrukt erfahrbar. Und einige Bausteine dieses Konstruktes,
das historisch gewachsen ist, werden hier angesprochen. So etwa die Änderung
der Bedeutung des Dorf- und Kommunikationszentrums Hauptplatz im Laufe
der Jahre. Oder die Änderungen von wirtschaftlichen Zusammenhängen,
die sich bei der Rotundeì etwa in Form von schwindender Beachtung
äußern. Dabei würde sich dieser Bereich auf Grund seiner
Lage und der baulichen Voraussetzungen für eine Vielzahl kommunaler
Aktivitäten geradezu aufdrängen (Lehner).
Jede Art von Geschichtsbetrachtung legt - indem sie die Bindung und Ursachen
von und für Zustände/n im Raum-Zeit-Kontinuum festmacht
- die Wurzeln der Gegenwart frei. Das tut auch Lehner unter Mithilfe der
Oberwarter Bevölkerung durch die Prozeßhaftigkeit seiner Arbeit.
Geht aber einen wesentlichen Schritt weiter. "Geschaffen wird
ein temporäres Vakuum, das sich mit Leben füllen kann, das aber,
will man es als Experiment zur Neudefinition eines Platzes betrachten,
auch in dem Sinne scheitern kann, daß der gewonnene Raum nicht angenommen
wird" (Lehner). Ersteres bleibt zu hoffen.
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