schnee stock parade
deutsche Fassung
snow stick parade
english version
 
Oberwart 1998
 
 
texte:
peter nesweda 
franz niegelhell
vitus h. weh
parade
 
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 Franz Niegelhell

Schneestöcke in der Stadt und noch dazu Anfang Sommer muten auf den ersten Blick seltsam an. Andreas Lehner hat in Oberwart ein System von hängenden und steckenden Schneestöcken, die im Winter als optisches Leitsystem für schneeverwehte Überlandstraßen dienen, angebracht. Es sperrt damit den Platz sowohl für Busse als auch für den Individualverkehr und markiert ihn in seiner Ausdehnung. Die Schneestöcke werden auch hier als Orientierungssytem verwendet. Aber anders als in Schneegebieten zeigen sie hier nicht den "Hauptverkehrsweg" in einer Landschaft, sondern machen auf seine Bedeutung im sozialen System einer Stadt aufmerksam und ändern diese auch. Die Installation umfaßt den Hauptplatz des Ortes, der im Alltag primär als Busbahnhof genutzt wird. Für die Dauer von 16 Tagen wird die Bushaltestelle verlegt. Der Hauptplatz ist offen für neue Nutzungen. Einen Teil des Hauptplatzes etwa nimmt nun ein Straßencafe in Beschlag, das von Oberwarter Gastronomen geführt wird. Im Bereich des Stadtzentrums gab es bisher keine Straßencafes. Entsprechende Ansuchen wurden von den Behörden immer wieder abgewiesen. 
Vom Hauptplatz aus beschreibt die Installation aus 3500 Stöcken einen rund ein Kilometer langen Weg durch Oberwart, der von Einheimischen kaum jemals begangen wird. Er führt über das Gelände der sogenannten Rotunde, wo Viehversteigerungen stattfinden, und den Badplatz wieder zurück zum Hauptplatz. "Dieses Gelände und die darauf befindlichen Bauten hatten bis vor einiger Zeit eine wesentliche wirtschaftliche Bedeutung für Oberwart, sie stellen aber heute, gerade wenn man ihre prominente Lage in Betracht zieht, so etwas wie einen blinden Fleck dar. Architektonisch interessant und als Gelände durchaus attraktiv, stellt die Rotunde ein weiteres Zentrum der Stadt dar" (Andreas Lehner). 
Wenn man diese Hintergründe kennt, dann erscheint die Installation keineswegs mehr seltsam, sondern sie weist vielmehr in aufschlußreicher Weise auf soziale und historische Zusammenhänge hin. Sie ist sozusagen ein optisches Leitsystem für das Eingebundensein dieser Zusammenhänge und ihrer gesellschaftlichen Ausformungen (im Sinne von "täglichem Leben") in das Kontinuum von Raum und Zeit und seines Zuschnitts im Hinblick auf die spezifische Lebenswirklichkeit einer Gemeinschaft. Deren öffentlicher Raum wird, indem in ihn eingebrochen wird, als soziales Konstrukt erfahrbar. Und einige  Bausteine dieses Konstruktes, das historisch gewachsen ist, werden hier angesprochen. So etwa die Änderung der Bedeutung des Dorf- und Kommunikationszentrums Hauptplatz im Laufe der Jahre. Oder die Änderungen von wirtschaftlichen Zusammenhängen, die sich bei der Rotundeì etwa in Form von schwindender Beachtung äußern. Dabei würde sich dieser Bereich auf Grund seiner Lage und der baulichen Voraussetzungen für eine Vielzahl kommunaler Aktivitäten geradezu aufdrängen (Lehner). 
Jede Art von Geschichtsbetrachtung legt - indem sie die Bindung und Ursachen von und für Zustände/n im Raum-Zeit-Kontinuum festmacht  - die Wurzeln der Gegenwart frei. Das tut auch Lehner unter Mithilfe der Oberwarter Bevölkerung durch die Prozeßhaftigkeit seiner Arbeit. Geht aber einen wesentlichen Schritt weiter. "Geschaffen wird ein temporäres Vakuum, das sich mit Leben füllen kann, das aber, will man es als Experiment zur Neudefinition eines Platzes betrachten, auch in dem Sinne scheitern kann, daß der gewonnene Raum nicht angenommen wird" (Lehner). Ersteres bleibt zu hoffen.