die
baustelle
und
der künstler
ein gespräch
zwischen
angelica bäumer
und
tadashi kawamata
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angelica
bäumer: herr kawamata, sie haben mit ihren installationen
in vielen städten rund um den globus gearbeitet. was ist der "sidewalk
- wiener neustadt"?
tadashi kawamata: der "sidewalk
- wiener neustadt" ist ein etwa 250 m langer weg, auf einer 4,5 meter hohen
holzkonstruktion über dem wiener neustädter hauptplatz angelegt,
der in dieser zeit des umbaus ja bereits eine große baustelle sein
wird. gruben werden ausgehoben und baufahrzeuge fahren, leitungen werden
verlegt und material wird gebracht und gelagert. oben auf dem "sidewalk"
aber gehen die menschen und schauen zu. mich faszinieren bauplätze
überall, weil es doch ein ständiges abbrechen und aufbauen gibt,
überall auf der welt.
das wiener-neustadt-projekt ist ein
bißchen wie ein flughafen: eine rampe führt hoch und man erhält
einen neuen und ungewohnten Überblick, eine völlig neue perspektive.
es soll aber auch eine plattform sein, damit die leute spazieren gehen
können. dabei erfährt das publikum den vertrauten hauptplatz
in einer anderen dimension und erlebt die stadt auch in einem anderen blickwinkel,
der zu einem neuen bewußtsein führen wird. was u.a. mit dem
gebäude zusammenhängt, um das der "sidewalk" herumführt.
das haus steht mitten auf dem platz und ist wie eine insel, was kaum jemand
bemerkt. das mache ich bewußt mit dem weg, den ich darum herumlege.
die menschen können das erleben, indem sie auf dem "sidewalk" spazierengehen,
an den verbreiterten stellen stehen bleiben und miteinander reden oder
diskutieren, kinder werden fangenspielen und ältere leute vielleicht
auf den markt hinunterschauen, den sie solange kennen und den sie jetzt
ganz anders sehen. der weg wird auch in der nacht offenstehen und beleuchtet
sein, es werden sich dort junge leute treffen oder vielleicht liebespaare,
es ist ein offener, öffentlicher weg und doch ist er abgehoben vom
alltäglichen geschehen auf dem markt und auf der baustelle.
angelica bäumer: 1995
haben sie in wien, im rahmen der festwochen, in der remise eine installation
gemacht. wien werden sie als kosmopolit, der sie sind, gekannt haben. aber
haben sie früher schon einmal von wiener neustadt gehört?
tadashi kawamata: wiener neustadt
ist mir weder bekannt noch vertraut gewesen. allerdings hatte ich unbewußt
schon seit meiner kindheit eine beziehung zu dieser stadt. ich habe viele
modellflugzeuge zusammengebaut und damit gespielt. und da waren die messerschmitt-flugzeuge
meine favoriten, weil sie nicht nur schön waren, sondern auch technisch
perfekt. bei der vorbereitung zu meinem projekt stellte ich jetzt fest,
daß messerschmitt in wiener neustadt eine flugzeugfabrik unterhielt.
die stadt hat also in gewisser weise mit meiner kindheit zu tun.
angelica bäumer: so wurde
fremdes schnell vertraut durch die erinnerung. aber zurück zu ihrem
projekt. wie gestaltete sich die vorbereitung zu dieser installation, die
ja, wie man hört in wiener neustadt heftig umstritten ist?
tadashi kawamata: das erste,
was mich bei den vorbereitungen zu meiner arbeit in wiener neustadt erstaunt
hat, ist, daß wir sofort eine erlaubnis erhalten haben, auf diesem
platz eine installation zu machen, und daß die stadt das projekt
wirklich unterstützt. einerseits mit genehmigungen und andererseits
auch mit finanziellen mitteln. das ist außergewöhnlich und das
bin ich nicht gewohnt von den meisten meiner anderen projekte.
angelica bäumer: sie
haben in einem anderen zusammenhang einmal gesagt, daß ihre bauplatzprojekte
einem großen kreislauf entsprechen und daß sie ihnen die möglichkeit
geben "den endlosen kreislauf von abbau und aufbau darzustellen", also
eine art "stirb und werde" in der architektur und der stadt. was wollen
sie auf diesem platz und zu dieser zeit mitteilen?
tadashi kawamata: dieses projekt
ist eigentlich ein sehr privates. da war diese ver- bindung über die
messerschmitt flugzeuge zu meinen kindheitserinnerungen und daraus ergab
sich diese spezielle formale lösung, diese struktur, die einem flugplatz
ähnlich ist. darüber hinaus war natürlich die lage sehr
interessant, weil es sich hier um einen wirklich zentralen platz handelt.
das unterscheidet diese von den meisten meiner früheren arbeiten.
es ist ein leerer platz, der für
ein jahr eine baustelle sein wird und der - mitten in der stadt gelegen
- eine wichtige städtische funktion hat. demnach muß meine arbeit
ebenfalls sehr städtisch sein und nicht konzipiert für einen
vorort oder eine seitenstraße, wie viele meiner anderen arbeiten
- eine große herausforderung für ein temporäres projekt
mitten in der stadt. weil mir immer wichtig ist, die bedeutung einer gegend
einschließlich ihrer geschichtlichen und gegenwärtigen situation
zu erfahren.
der "sidewalk - wiener neustadt"
hat viele und sehr urbane möglichkeiten, die die leute nützen
können. das ist meine art, "marktplatz" zu demonstrieren und darauf
hinzu- weisen, was alles passieren kann und auch passiert, wenn man den
standpunkt und damit den blickwinkel wechselt.
angelica bäumer: Üblicherweise
werden baustellen mit zäunen abgeschirmt. was von außen wahrgenommen
wird, ist höchstens der verstärkte verkehr durch schwere lastwagen,
und der lärm der maschinen, während diesmal die bürger -
wie im theater - dem baugeschehen zuschauen können. heißt das,
daß ihre arbeit eine art performance ist?
tadashi kawamata: die passanten
können bereits beim aufbau des "sidewalk", der vier wochen dauert,
zuschauen, sodaß schon in dieser phase das gespräch mit den
menschen möglich ist, das ich auch suche, weil meine arbeit sehr stark
von kommunikation getragen ist und die auseinandersetzung mit dem publikum
einen teil meiner arbeit ausmacht. natürlich ist das eine künstlerisch-konzeptuelle
idee, aber mir ist wichtig, daß sie öffentlich realisiert wird
und daß das publikum täglich zuschauen und mit mir reden kann.
man soll mich fragen, was ich da tue und welche ideen dahinterstehen. ich
gebe auskunft über die technische konstruktion; ich diskutiere darüber,
warum diese installation kunst ist und nicht bloß tischlerarbeit
oder ähnliches mehr. es gibt immer freundliche, zustimmende menschen,
solche die etwas erfahren, und andere, die kritik anbringen wollen oder
sogar aggressiv und ablehnend sind.
der vergleich mit dem theater ist
allerdings nicht ganz stimmig, weil es ja hier keine rollenverteilung und
keine festgelegte dramaturgie gibt. natürlich wird der bauplatz aus
sicherheitsgründen abgegrenzt und die arbeiter errichten die installation,
aber es ist doch so, daß die zuschauer, wenn sie fragen stellen oder
sich zur arbeit äußern, selbst schauspieler werden, und daß
die arbeiter oder ich als künstler auf sie reagieren.
angelica bäumer: ist
das gespräch, die kommunikation der menschen untereinander, aber auch
mit ihrem werk, eine wichtige motivation für ihre projekte?
tadashi kawamata: es ist mir
sogar sehr wichtig, daß eine auseinandersetzung mit meiner arbeit
stattfindet. das wiener neustädter projekt ist zwar - wie alle meine
arbeiten - eine temporäre installation, sie bietet aber auch die erfahrung
einer veränderten sicht und das bleibt als erkenntnis im gedächtnis
der menschen haften, sie erfahren einen neuen zugang zum thema stadt. der
weg hat durchaus öffentliche funktion, weil sicherlich viele leute
die möglichkeit nutzen werden, einander dort zu treffen und miteinander
zu reden - auch über den umbau des haupt- und marktplatzes. es werden
vielleicht sogar streitgespräche entstehen - alles ist möglich
auf diesem "sidewalk".
angelica bäumer: eine
art "speakers corner" in wiener neustadt?
tadashi kawamata: warum nicht?
die möglichkeit ist jedenfalls gegeben, man kann dem baugeschehen
zuschauen, man kann sich zustimmend oder kritisch dazu und zu anderen themen
äußern - und wer tut das nicht gerne?!
angelica bäumer: ihre
arbeiten sind immer bezogen auf einen ganz bestimmten platz, auf den sie
reagieren. das gilt für die documenta in kassel genauso wie für
japan, chicago, new york und natürlich auch wien, was bedeutet, daß
der ort, für den sie etwas entwickeln, wichtig ist, aber nicht nur
der geographische ort, sondern der urbane rahmen, der architektonische
raum.
tadashi kawamata: meistens
ist es so, daß ich wenig oder gar keine ahnung habe von einem platz,
an dem ich arbeiten werde. dann lerne ich den ort kennen, reagiere auf
ihn, sehe, welche geschichte er hat, wie das tägliche leben abläuft,
welche möglichkeiten er bietet, und erst dann entwickle ich meine
ideen und projekte. so war es bisher überall, auch in wiener neustadt,
über das ich überhaupt nichts wußte. ich kam zweimal hierher
um mir den platz anzusehen, das 1. mal nachts und das 2. mal dann tagsüber.
ich lief herum, sah mir alles an. wiener neustadt ist doch eine garnisonsstadt.
ich ging zum flughafen, zu den militärischen plätzen, den kasernen,
entdeckte, daß diese ein- richtungen so gar nichts mit der stadt
zu tun haben, man sieht auch keine soldaten in der stadt, es sind zwei
total verschiedene lebensformen in unmittelbarer nachbarschaft.
ich habe auch in wiener neustadt
sofort versucht mit leuten ins gespräch zu kommen, das war nicht einfach,
weil so gar keine voraussetzungen vorhanden waren. wenn man sich überhaupt
interessierte, stellte man die üblichen naiven fragen: was denn
kunst sei etwa; und das betraf nicht nur die zeitgenössische kunst,
sondern auch die kunst in den museen.
ganz einfach präsentiert sich
auch das verhältnis der leute zu kunst: entweder sie schätzen
künstlerische Äußerungen oder eben nicht, es wird nicht
differ-enziert. wenn allerdings etwas akzeptiert wird, dann ist das teil
des selbstverständnisses und so kann man doch kleine schritte setzen
und darauf hoffen, daß das beobachten von künstlerischen aktionen,
das nachdenken über zusammenhänge und das erkennen von ästhetischen
voraussetzungen auch bewußtseinsprozesse auslösen. ich halte
deshalb viel von begegnungen, diskussionen und gesprächen. außerdem
ist es für mich eine große herausforderung in einer stadt eine
installation zu machen, in der wenig konsens über die notwendigkeit
von künstlerischen prozessen besteht.
angelica bäumer: sie
haben ja schon in vielen städten gearbeitet, wie waren dort die reaktionen,
haben sie immer zustimmung gefunden?
tadashi kawamata: nein, überhaupt
nicht, es hat sogar projekte gegeben, die ich ab-brechen mußte, weil
das publikum aggressiv reagierte oder die verwaltungen die weiterarbeit
verboten haben. es war nicht immer ein vergnügliches arbeiten, aber
das ist teil meines werkes und meines handelns. dennoch bin ich kein künstler
der gerne skandale provoziert, sondern ich bin an einer guten kommunikation
interessiert und mir ist es wichtig, gegenseitiges verständnis zu
bewirken.
angelica bäumer: das
bedeutet, daß es ihre absicht, ihr wunsch ist, verstanden zu werden
und veränderung im erleben und in der sicht der städtischen räume
zu erreichen?
tadashi kawamata: meine arbeit
ist wie gesagt sehr persönlich und hat etwas mit meinen gefühlen
und empfindungen zu tun und mit sensibler reflexion der städtischen
situation, in der ich etwas konstruiere. daher bin ich auf die reaktionen
der menschen mehr als neugierig, sie sind für mich wesentlich. das
publikum ist sozusagen mein partner und ich stelle mir die frage, wie es
über die stadt denkt und wie es die stadt nach der veränderung
durch mein werk erlebt. ich kann nicht viel tun, entweder das publikum
akzeptiert meine arbeit oder es lehnt sie ab - so ist meine arbeit nicht
eigentlich eine botschaft, sondern einfach mein standpunkt, mein point
of view, meine art der suche, mein stil und natürlich ist das ein
ausgangspunkt für diskussionen.
top
sidewalk
home
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