NACHDENKEN MÖGLICH MACHEN
Ein Vermittlungsprojekt im Gedenken an das Bombenattentat auf vier Oberwarter Roma im Feber 1995
Vermittlung
   

Dieses Vermittlungsprojekt war integraler Bestandteil der Ausstellung „Ein Güterweg und eine Fracht“, eine Ausstellung die sich mit der Geschichte der Roma in Oberwart auseinandergesetzt hat.

Beim Projektstart vorhanden waren: der Wunsch der politischen VertreterInnen der Gemeinde Oberwart, sich mit der Situation der Oberwarter Roma und dem Attentat vor zehn Jahren auseinander zu setzen, die bis heute nicht ausreichend aufgearbeitete Geschichte einer Volksgruppe, geprägt durch Diskriminierung und Vorurteile, eine umfangreiche Datenbank mit Fotos, Filmen und Texten, eine Gruppe von 15 Jugendlichen aus unterschiedlichen Schulen der Umgebung, drei von ihnen Roma, ein Autor, ein Ausstellungsgestalter, eine Kulturvermittlerin, Raum im Offenen Haus Oberwart, Geld und wenig Zeit.

Viele Fragen haben bereits den Beginn des Ausstellungsprojektes begleitet. Wie lässt sich die kontinuierliche Diskriminierung der Roma, wie lassen sich Vorurteile, wie lassen sich die sozialen Gegebenheiten, die Lebensalltag und Lebenslauf der Roma zum Teil auch heute noch prägen, wie lässt sich der Schock, den das Attentat vom Februar 1995 ausgelöst hat, in einer Ausstellung „zeigen“? Zum Kernpunkt unserer Überlegungen auch bei diesem Projekt wurde schließlich unweigerlich die Frage, wie werden wir mit Betroffenheiten umgehen, wie weit werden wir uns einlassen, auf die Gratwanderung, zwischen dem in Zusammenhang mit Ausgestelltem oft  diskutierten „aufgezwungenen Schrecken“ einerseits und der uns allen nicht unbekannten Faszination des Grauens andererseits. (In der Ausstellung waren unter anderem die staatspolizeilich untersuchten Teile des mit „Roma zurück nach Indien“ beschrifteten Sprengsatzes zu sehen).

Allen Beteiligten war bewusst, dass die Vermittlung das entscheidende Element der Ausstellung werden wird – gestalterische Elemente konnten nur im Dialog mit dem Vermittlungskonzept entwickelt werden. Bereits in der Startphase haben wir als Ausstellungsteam die oben formulierten Fragen weitergegeben, sie wurden zum Einstieg für unsere Arbeit mit jenen Jugendlichen, die bereit waren, bei dieser Ausstellung und dem anschließenden Vermittlungsprojekt mitzumachen. Gemeinsam mit Ihnen haben wir uns für einen dramaturgischen Einstieg (Autor P. Wagner) - eine akustische Einleitung - entschieden. Im abgedunkelten Raum begleiten die BesucherInnen vier Männer  - Oberwarter Roma – auf ihrem nächtlichen Patroulliengang, der mit dem Auffinden und schlussendlich der Detonation der Sprengfalle endet. Unausgesprochen wird eindeutig klar, dass alle vier Männer dem Attentat zum Opfer fielen.

Trotz Vorbehalten, nicht zuletzt wegen der gerade für die Vermittlungsarbeit sehr nachhaltig geführten Diskussion über „Lernen“ mit bzw. trotz Betroffenheit haben wir uns auf diesen emotionalen Einstieg eingelassen. Inszeniert haben hier Jugendliche für Jugendliche, in diesem Fall hat es wahrscheinlich gepasst.

Ebenfalls Fixpunkt unserer inhaltlichen Diskussion ist der von Gottfried Fliedl 1994 formulierte Begriff der „Aktualisierungsarbeit“ gewesen -  auch er begleitet sehr viele KulturvermittlerInnen, nicht nur bei zeitgeschichtlichen Projekten. Bewusst wurde den Jugendlichen und uns, dass bei diesem konkreten Fall Aktualisierungsarbeit nicht erst in der Ausstellung selbst, sondern tagtäglich in unserer Umgebung statt findet. In ihrer radikalsten Form ist sie zehn Jahre vor unserem gemeinsamen Projekt passiert: Bei dem Attentat am 4. Feber 2005 aktualisierte sich das Grauen für einen Teil unserer Gesellschaft, der im Verlauf der Geschichte immer wieder in besonderem Maße verwundet wurde. Das Attentat fand zu einem Zeitpunkt statt, als die hier lebenden Roma auf dem Weg der Selbstorganisation und des öffentlichen Sichtbarmachens ihrer Situation wichtige Schritte nach vorne gewagt haben. Das (fragwürdige) Verhalten von Behörden wie Polizei und Gendarmerie, der Umgang der Medien mit dem Attentat, der Neid und dementsprechende Kommentare der Mehrheitsbevölkerung anlässlich der Spenden, die den Familien der Mordopfer zukamen, haben zur Aktualisierung des scheinbar Vergangenen beigetragen.

Mit all diesen Vorbehalten und Überlegungen im Kopf haben wir in Absprache mit den Jugendlichen vereinbart, dass wir sichtbar halten wollen, dass auch dieses Ausstellungsprojekt letztlich Teil hat am Schreiben und Erzählen der Geschichte der burgenländischen Roma - ein Prozess über den wir mit unseren BesucherInnen gerne nachdenken möchten. Aufgebaut als Laborsituation bestand die Ausstellung aus mehreren „Arbeitsplätzen“, ausgestattet mit PC-Datenbanken, Dokumenten und  Fotos zum Hantieren und Bearbeiten. An diesen Stationen konnten sich AusstellungsbesucherInnen Auskünfte über  wichtige Zeitabschnitte der  Geschichte der Roma von Oberwart erarbeiten, zugeordnet waren diesen Arbeitsstationen Vitrinen mit historischen Exponaten.

Wichtiges und zentrales Element unserer Ausstellung war der Oberwarter Hauptplatz als Forum der öffentlichen Meinung, ein Chatroom - virtuell und real zugleich, bei dem die Jugendlichen die Möglichkeit hatten, den anonymen Internet-Kommentaren zur Ausstellung auch eine eigene Richtung zu geben.

Nach der Einstiegs- und Orientierungsphase und den notwendigen Benutzungshinweisen sammelten die BesucherInnen der Ausstellung in kleinen Arbeitsteams Informationen zu den historischen Eckpunkten der Geschichte der Roma im Burgenland, im gemeinsamen Rundgang gaben die Jugendlichen die Ergebnisse ihrer Recherche an ihre KollegInnen weiter und diskutieren ihre Gefühle, Erfahrungen und Erkenntnisse gemeinsam mit den gleichaltrigen KeyworkerInnen. Schon nach einigen wenigen von uns begleiteten Rundgängen verselbständigten sich die jugendlichen BetreuerInnen in ihrer Interaktion mit den AusstellungsbesucherInnen, entwickelten das gemeinsame Rahmensystem den Bedürfnissen von gleichaltrigen AusstellungsbesucherInnen entsprechend weiter, und wurden als Motor und Katalysator zum wesentlichen Element der Ausstellung selbst.

Andreas Lehner, Künstler, Ausstellungsgestalter, www.dade.at
Barbara Mayer, Kulturvermittlerin, kulturverm.bgld@utanet.at

     
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