Peter Deutschmann

es geh dichte rund gänge
... ja, noch die Einsamkeit des lyrischen Wortes selber ist von der individualistischen und schließlich atomistischen Gesellschaft vorgezeichnet, wie umgekehrt seine allgemeine Verbindlichkeit von der Dichteseiner Individuation lebt. (Theodor W. Adorno)
Das fünfte Wiener Neustädter Projekt zur Kunst rückt Lyrik ins Zentrum und somit an einen Platz, der dieser fremd ist. Im Zentrum muß sich die Lyrik gegenüber der alltäglichen und prosaischen Rede behaupten, die dort seit jeher ihren Platz hat, wurden doch auf den Plätzen und Foren über Angelegenheiten der Stadt, der Kommune gesprochen und ausgetragen. Auf den Hauptplätzen gab es in steter Folge Märkte, Gerichtsbarkeit, Prozessionen, Hinrichtungen oder den Karneval. Die Sprache war bei den meisten dieser Veranstaltungen nicht mehr als Mittel für verschiedene Zwecke. Einzig im Karneval konnte sie als Mittel die ansonsten üblichen Zwecke verspotten und ins Lächerliche ziehen. Die instrumentelle Funktion der Sprache ist dabei eigentlich nie zur Debatte gestanden. Auf den Plätzen selbst wurde selten über die Sprache gesprochen. Im Zentrum hatte man schon immer andere Sorgen, über die man sich zu verständigen suchte.

Die Sprache der Prosa (genauer: die prosaische Rede) unterscheidet sich von der Sprache der Poesie zuerst einmal dadurch, daß sie sich an einer außersprachlichen Wirklichkeit orientiert, auf eine Welt außerhalb der Sprache verweist, wohingegen die Poesie zuerst auf sich selbst verweist und erst in zweiter Hinsicht auf die Welt jenseits der Sprache. Die poetische Rede zeigt die Welt im Prisma der Sprache, die prosaische Rede orientiert die Sprache an den Sachverhalten der Welt. So sprechen die Bürger von Wiener Neustadt normalerweise über irgendwelche Ereignisse, Sachverhalte und Tatsachen in prosaischer Umgangssprache. Die Sätze sind dabei Zeichen für Außersprachliches. In dieser ihrer Stellvertreterfunktion für Sachverhalte, Gedanken, Gefühle gehen die Sätze völlig auf. 

"Ich fahre nach Ternitz." wäre ein Mustersatz für die funktionale Alltagsprosa irgendeiner ÖsterreicherIN. Die Bedeutungen der Wörter werden ausgewählt in Rücksicht auf eine Welt außerhalb der Sprache, während die lautlichen Eigenschaften der Wörter nur soweit von Relevanz sind, solange die Mitteilung verständlich bleibt. Würde jemand achtlos sprechen oder nur schlecht sprechen können, könnte er unabsichtlich die Lautstruktur der Signifikanten so verändern, daß seine Hörer Fernitz und nicht Ternitz als Ziel der Fahrt verstehen. Andere als bedeutungsunterscheidende Eigenschaften der Signifikanten sind in der Prosa irrelevant. In der funktionsgebundenen Prosarede am Bahnhof von Wiener Neustadt achtet niemand darauf, ob die Folge von betonten oder unbetonten Silben regelmäßig ist, "Ich fahre nach Ternitz." "Einfach nach Ternitz", "Einmal Ternitz bitte" sind in der prosaischen Alltagskommunikation synonyme Sätze, in Gedichten aber sind sie nicht austauschbar: In diesen sind alle Eigenschaften des Signifikanten wichtig, nicht allein die bedeutungsunterscheidenden.

Dies läßt sich beispielsweise zeigen an einem Satz aus Margret Kreidls Text "Gefüllte Blüten": ãÜppig gefüllte Blüten enthüllen süße Blütenbüschel". Obwohl der folgende Satz von seiner Bedeutung her ganz und gar in den botanischen Kontext passen würde, ist er im poetischen, also primär sprachlichen Kontext schlichtweg unmöglich: "Üppig gefüllte Blüten von Dahlien, Rhododendron und Hortensie enthüllen süße Blütenbüschel". Die Signifikantenstruktur der Blumennamen stört die Anordnung der übrigen Signifikanten (z.B. weil es im Text gar keine Worte mit dem Vokal /a/ gibt, paßt eine"Dahlie" nur schlecht in ihn.).

Zumal in Gedichten die Sprache nicht hinsichtlich einer außersprachlichen Wirklichkeit verwendet wird, sondern von der Sprache selbst geleitet wird, sind Gedichte von der Umgebung abgetrennt. Sie stehen für sich und sind damit wie alle Kunst vom Funktionieren in der Gesellschaft befreit. Die Welt außerhalb der Gedichte ist zweitrangig, vorweg kommt die Sprache. Wenn wir durch deren Dichte auf die Welt blicken, ist unser Blick von der Sprache gelenkt wie von einem Prisma, wir sehen neu. 

Diese Selbstreferentialität der Gedichte hat zur Folge, daß die Gedichte einen eigenen Raum bilden, dessen Struktur sich vom Umraum durch größere Geordnetheit bzw. Organisiertheit unterscheidet. Da die Sprachzeichen nicht mehr an eine außersprachliche Wirklichkeit gebunden sind, in der die Zeit linear abläuft, existieren die Sprachzeichen in einem Raum-Zeit-Kontinuum mit umkehrbarer oder wenigstens zyklischer Zeit. Ein und dasselbe Gedicht wird von verschiedenen Rezipienten auf verschiedene Situationen bezogen, während sich die prosaische Rede auf eine bestimmte Stelle am Zeitpfeil bezieht .

In Entsprechung zu den referentiellen Besonderheiten dieser beiden Formen der Rede muß auch die Präsentation der Gedichte gesehen werden. Während die Realisierung der lautlichen Rede in der Zeit erfolgen muß, benötigt die geschriebene Rede die Fläche bzw. den Raum. Die Niederschrift entreißt sie dem ephemeren Sein in der Zeit der mündlichen Rede und macht die Rezeption wiederholbar. Der erstaunliche Umstand, daß keines der "Gehdichte" hier in akustischer Form präsentiert wird (aber selbst eine Tonbandaufnahme wäre als "Aufzeichnung" eine Form von Schrift), paßt auf die frühe Bedeutung des Wortes "Gedicht". Bis zum 18. Jahrhundert wurde alles schriftlich Abgefaßte als "Gedicht" bezeichnet, erst danach wurde die Bedeutung von Gedicht auf "schöpferische Werke eines Dichters" und noch weiter auf die Gattung der Lyrik eingeschränkt. Bekanntlich schwingt in der Gattungsbezeichnung die Saite einer Lyra mit, von welcher die gebundene Rede einst begleitet worden ist.

Bei einem Rundgang zwischen den ins Zentrum gestellten Gedichten könnten sich diese Eigenschaften der poetischen Rede an allen Texten erweisen. Die Gedichte sind poetische Reden, deren Linearität sich Raum verschafft, sich in den Raum ausdehnt, aber sich nicht auf den öffentlichen Raum beschränkt. Die Texte sind nicht mehr linear sondern raumgreifend &emdash; Raum hier so verstanden, wie man vom deutschen, italienischen, ungarischen Sprachraum spricht, als Raum von Möglichkeiten des Sprechens, der allem Wählen/Sprechen/Schreiben aus diesem Möglichkeiten logisch vorgängig ist. Der Raum (hier verstanden als Sprachraum, in dem sich alle möglichen Satzereignisse einer Sprache vorkommen können) ist vielfältiger und reicher als die Linie, die durch den Raum führt, die Sprache ist reicher und von kategorial höherer Ordnung als ein Satz dieser Sprache. Und dennoch gibt es die Sprache nicht als sinnlichen Gegenstand &emdash; sinnlich wahrnehmbar sind nur die vielen Sätze einer Sprache. Wenn wir als Charakterisitikum der Gedichte ihre Selbstreferentialität angeführt haben, meinen wir damit nichts anders als Fähigkeit der poetischen Rede, Sprache zu werden, Raum. 

Diese allgemeine Eigenschaft von Gedichten soll am Sonderfall der Terzinentafel von Franz Josef Czernin veranschaulicht werden. Auch wenn die Sprache der Verse zuerst denkbar realitätsfern anmutet, ist eines gewiß, die einzelnen Wörter haben nicht etwa zufällig in diesen Text eingang gefunden. Die Tafel erlaubt sowohl eine flächige als auch eine räumliche Lektüre. Der Terzinenvers, ein fünfhebiger Jambus, ist durchwegs eingehalten, wobei aber auch Abweichungen vom Metrum, die der Leser vielleicht unwillkürlich vornimmt, neue Nuancen setzen, weitere Bedeutungen schaffen. Das für Terzinen charakteristische Reimschema aba / bcb / cdc ... kann auch die Variation zu aba / cac / dcd haben, um den Zusammenhalt der Dreizeiler zu gewährleisten. Czernins Terzinentafel erlaubt nicht weniger als 81 verschiedene Kombinationen aus je drei Terzinen, eine maximalere Nutzung eines von Sprache und Genre vorstrukturierten Raums ist auch in der ars combinatoria kaum denkbar. Die semantische Organisation der Verse vergrößert die Zahl der Lesarten und Bedeutungen noch um ein Vielfaches, wie sich hier nur auszugsweise an wenigen Versen zeigen läßt.

selbst ich es bringe auf die fläche: weisst 

du, dies so einzuräumen, was uns stehend

als wendung blättert auf? dass seite reisst, 
 
 

wir fahren, mich zu teilen mit uns drehend, 

als platz gegriffen wurde, wie du liest

vom bogen: sendung, an gehalten sehend,

[...] 

Es gibt im Deutschen "stehende Wendungen", feste Kombinationen von Wörtern. In den Versen 2 und 3 klingt diese Bedeutung an, dieselbe Kombination läßt aber auch die Bedeutung "jemanden blamieren, aufblatteln" von "aufblättern" sichtbar werden und weiters auch noch die autoreflexive Referenz auf die Präsentation: Durch das Blättern der stehend montierten Tafeln wird aus dem flächig präsentierten Text ein räumlicher, der obendrein nicht an die Linearität der prosaischen Rede gebunden ist. Bezeichnenderweise heißt der Schluß der ersten Strophe, "daß seite reisst". Darin wird zum einen autoreferentiell thematisiert, daß die Textseite hier durchtrennt ist und auf die erste Terzine nicht bloß eine, sondern zwei weitere alternativ folgen können, die "seite" ist aber auch homophon mit der "saite", z.B. einer der Lyra, welche einst Verse begleitete. Der Vers kündigt die lineare Verbindlichkeit der mündlichen Realisierung auf, um die verschiedenen Dimensionen des Textes zu öffnen. Die erste Terzine beginnt mit der zweiten Dimension, welche aber bereits das Denken in metaphorischen Raumkonzepten ironisiert: zwei Dimensionen unter der "fläche", auf welche ein "ich" ein "es" bringt, erkennen wir den "punkt" der stehenden wendung "etwas auf den Punkt bringen, welche ihrerseits als wendung, wörtlich genommen, nur in einer dritten Dimension "gewendet" werden kann. 

Czernins raumgreifende Terzinen sind eine Verdichtung von Text, die wohl auch in der Literaturgeschichte einmalig ist. Mit dieser Behauptung markiere ich einen Punkt auf dem Zeitpfeil der Geschichte und widerspreche damit der ikonischen Aussage des Textes, nämlich Linearität auf den Raum hin zu erweitern und in Beziehungen zu denken. Es liegt wohl an meiner prosaischen Rede, daß ich Bedeutungsblöcke so anschneide und eine Aussage mache, welche in ihrer zeitlichen Organisiertheit um eine Dimension ärmer ist als die der Gedichte im öffentlichen Raum des Zentrums.

Wenn die Sprache in den Gedichten zuerst einmal prinzipiell vom pragmatischen Funktionszusammenhang der prosaischen Rede enthoben ist, bedeutet es noch lange nicht, daß die Gedichte autonom sind. Der von ihnen geschaffene Raum ist immer mitbestimmt von dem ihn umgebenden gesellschaftlichen Raum. Adorno spricht vom Doppelcharakter der Kunst, also davon, daß sie autonom und heterom zugleich ist. Tatsächlich bedeutet dies, daß Kunst, obwohl prinzipiell autonom, auch immer ein Indiz für gesellschaftliche Verhältnisse ist. Nimmt man Adorno beim Wort, muß der Zustand einer Gesellschaft, in der Dichtungen wie jene von Franz Josef Czernin oder Friederike Mayröcker stehen, besorgniserregend sein, denn "je schwerer der gesellschaftliche Druck lastet, desto unnachgiebiger widersteht ihm das Gebilde, indem es keinem Heteronomen sich beugt und sich gänzlich nach dem eigenen Gesetz konstituiert." 

Seit dem späten Mittelalter werden in den Texten der europäischen Kultur Individuum und Gesellschaft als antagonistische Relation modelliert, was sich in der Literatur z.B. in der Auffassung der Hegelschen Ästhetik äußerte, daß Lyrik die Gattung des privaten und subjektiven Ausdrucks ist, welcher vermag, dem gesellschaftlichen Druck entgegenzustehen und in seiner Subjektivität das "Allgemeinmenschliche" auszudrücken. Wenn auch mittlerweile klar geworden ist, daß Subjektivität in der Literatur niemals unverstellt zum Ausdruck kommt, sondern mitbestimmt ist von kulturellen, literarischen und sprachlichen, immer transindividuellen Codes, welche die literarische Äußerung überhaupt erst ermöglichen, ist die Frage noch immer nicht vom Tisch: Einige der hier präsentierten Texte thematisieren daher auch die Relation von Subjekt und Nicht-Subjekt bzw. Gesellschaft. 

In den Piktogramm-Texten von Hil de Gard und Bodo Hell dominiert eine Sprache (diese ist nur in Gesellschaft möglich, ist deren wichtigstes Instrument) über jeden Ausdruck, jede individuelle Rede. Bei aller Allgemeinheit des Textes können die einzelnen Phrasen nur noch eine vage Ahnung vom persönlichen Schicksal vermitteln: "blut / spritzt / im rhythmus des pulses / aus der wunde / druckverband / kinnriemen offen / fliegt der helm / bedienerführung in englisch / grauimport / im stall / bestattungswesen / ausstattungsversion / antriebsart / überführt / notrufsäule zur zeit außer betrieb [...]" Wie die Piktogramme keine Aussagen mit singulärer Referenz, sondern Aussagen mit potentieller allgemeiner Referenz sind, hat der sprachliche Text kein Aussagesubjekt und niemanden Besonderen, von dem die Rede wäre. Die Allgemeinheit der Sprache zeigt sich gerade an den Ausdrücken, die sie für den subjektiven Ausdruck zur Verfügung stellt: "wo das eigene / gewollte / sich zeigt / superposing" jeder subjektive Ausdruck ist immer schon zeichenhafte Pose &emdash; "will es fassen / vom erdboden / zurüstung / deutsch: outfit". Noch aggressiver erscheinen die vorgegebenen allgemeinen Sprachmuster auf Ralf P. Kortes Plakat, dessen Mimikry die beherrschenden subsprachlichen und sprachlichen Imaginationen der gegenwärtigen Konsumgesellschaft zerredet. 

Hansjörg Zauners Plakate, in denen Flächiges auf Räumliches hin erweitert wird, lösen schon optisch die poetische Rede aus ihrer Linearität: Die symbolischen Zeichen verschiedener Sprachen stehen neben und unter Bildausschnitten, Grafiken, verfremdeten Fotos. Brisant wird das Verhältnis von Linie und Raum auch durch die einmontierten sprachlichen objets trouvés:: Die entwerteten Fahrkarten öffentlicher Verkehrsmittel sind Spuren einer einmaligen und unwiederbringlichen Bewegung am linearen Zeitpfeil durch die entsprechenden Räume. In dieser ihrer Gebundenheit sind sie epische Kurzprosa. Die Frage nach der Autonomie des Subjekts wird somit lakonisch beantwortet: dessen Autobiographie wird von Automaten geschrieben. Einmontiert in den verdichteten BildText verlieren die Fahrkarten ihre Gebundenheit an die Ereignisse der Welt und transzendieren zu einem Modell von Raum, in dem die Zeit reversibel wird. Auf bildlicher Ebene sind Zerstörung und Genese dementsprechend nicht voneinander zu unterscheiden, diese sind im Raum der Gedichte keine Kategorien mehr.

Harald Gsallers Sätze, die über die Fernsehschirme eines Elektrogeschäfts laufen, sind Textbilder/Testbilder des Deutschen. Jedes situativen Kontextes entledigt, kann an ihnen das Verstehen von Sätzen geprüft werden. Verstehen wir dank der Sprache oder verstehen wir, obwohl es Sprache gibt? Denn Vieldeutigkeit, Ungenauigkeit und Bildhaftigkeit der konventionellen sprachlichen Symbole öffnen immer neue Möglichkeiten des Verstehens: Sätze wie "Murmel sucht Mulde", "das manipulierte Glied" rufen eine Vielzahl von Bildern hervor, die obendrein auch bei jedem Leser anders sind, während die Bildsprache (der Fernsehbilder) nur selten vieldeutig ist. Gsallers Sätze eröffnen semantische Räume aufgrund dessen, daß der Rede ihr Umfeld fehlt. Demgegenüber erweitert ein Gedicht wie durchaus Porzellan Phantasie von Friederike Mayröcker ein Bild als Dekor auf einer japanischen Teetasse um die Dimensionen des Sprechens, Fühlens und Sehens.

Schon als Vorhaben ist die Verfilmung der Anagramme von "schneeweisschen und rosenrot" von dichter poetischer Qualität. Petra Nachbaur und Ilse Kilic stellen dabei eine komplexe Verbindung von Sprache und Rede, Matrix und Text, Raum und Zeit her. Märchen sind als Texte fertige Zeichen (sie erzählen nichts Neues, aber immer wieder dasselbe) und gehören zum Inventar einer Kultur. Ihr Wiedererzählen ist eine neue Realisierung des kulturellen Zeichens, wodurch sich Zeichen und Kultur stabilisieren. Anagramme sind dagegen die anderen Möglichkeiten dieser Zeichen, deren andere, mitunter als überflüssige Spielerei verworfene Seiten. Während sich im Normalfall Aussehen und Bedeutung kultureller Zeichen mit der Zeit langsam verändern, gibt der Sonderfall der Anagramme eine Vorstellung dieses Wandels im Zeitraffer. Die rasante Veränderung läßt Bedeutungen nur flüchtig aufblitzen, es ist aber auch möglich, daß sich sich die eine oder andere Möglichkeit des Zeichens stabilisiert. Durch die Verfilmung wird die Bindung der Anagramme an den linearen Zeitfluß noch zusätzlich verstärkt.

Die Verbindung von linearer Bewegung und zyklischer Wiederkehr ist auch in Franzobels Gedicht "Rad" auf sehr einfache Weise gelungen. Die Bewegung eines Rades kann unter zwei Perspektiven gedacht werden: Zum einen unter dem der Wiederholung als ewiger Wiederkehr des Gleichen, zum anderen als Verbindung von Wiederholung und Veränderung: wenn sich das Rad dreht, bewegen wir uns in einem ZeitRaum fort; es ändert sich die Umgebung des Rades. Die zyklische Bewegung der Sonne um die Erde (metaphorisch gesprochen) bestimmt die Präsentation dreier Gedichte von Josef Enengl: bei Tag wird ihre Projektion von der Sonne überstrahlt, jede Nacht aber entwerfen sie ein Bild von bewegter Ruhe. Im letzten Gedicht stürmt der Fuß eines Falken den Hafen (Bewegung). Darauf folgt wieder das erste, in welchem der Hafen ein weißes Schachbrett ist (Wiederholung und Statik). Ein Eichhörnchen prophezeit die Zukunft der (Schach)partie: der Fuß eines Falken stürmt den Hafen, der ein weißes Schachbrett ist, an dem ein Eichhörnchen die Zukunft prophezeit. So wiederholt sich der Ablauf im Gedicht, so sind die Gedichte jede Nacht die gleichen. Der Raum um den Raum der Gedichte, Wiener Neustadt, das Zentrum und die Peripherie verändern sich dabei in einem fort. 

Gerade dadurch, daß Gedichte nicht wie die prosaische Rede an eine außersprachliche Wirklichkeit und deren zeitliche Ordung gebunden sind, machen sie ex negativo den Wandel der Welt bewußt. Da aber auch die Sprache Teil der Welt ist und sich wie diese ändert, sind die Gedichte Modelle des Wandels, der über die einzelnen Subjekte hinausgeht: Das Befremdende/Transsubjektive dieser Veränderung wird in der sich wandelnden Sprache mit mehreren Namen zu fixieren versucht: ein scheinbar vertrauter heißt "Zeit", eine Chiffre heißt "es":
 
 

Als ich meinem Ansinnen 

den Rücken kehre

pocht es hinter den Augen

und gehorcht nicht ganz

: drinnen hockt die Zeit

/sind es Tage?/ Ich denke ja/:

Leicht regnet es, sodaß es

Wellen gibt beginnt sich die 

Luft zu kräuseln bis hierhin

denke ich

(Petra Ganglbauer)
 
 
 
 

 

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